Wohn- und Bauphilosophie: Vom Trotten auf dem Eselspfad (1)

Auf der abgelegenen Sporaden-Insel Alonissos in Griechenland gibt es heute eine alte und eine neue Hauptstadt. Die alte Chora auf dem Berg wurde 1965 von einem schweren Erdbeben zerstört. Dem Wiederaufbau nicht gewachsen, hatten die Bewohner die alte Stadt verlassen und sich die neue Stadt Patitiri am Hafen erbaut. Aber bald kamen „Aussteiger“ aus Nordeuropa und besiedelten die verlassene Chora. Viele Häuser werden als Feriendomizile vermietet.

Folgebeiträge Wohn- und Bauphilosophie in ENTSPANNT WOHNEN:

Pittoresk contra nüchtern

Landhaus auf dem Darss

Landhaus auf dem Darss

Wie ein Adlernest hockt die alte Chora auf der Insel Alonissos in 200 m Höhe. Die Ausländer erwarben die verfallenen Gebäude und leisteten die Aufbauarbeit von Pionieren. Wenn man die Insel besucht, hält man sich in der neuen Hafenstadt keine fünf Minuten auf. Sie wirkt sehr eintönig, nüchtern und kaum sehenswert.

In der romantischen Chora dagegen spaziert man den ganzen Tag herum und kann nicht genug von ihrem zauberhaften Flair bekommen. Die Wege schlängeln sich ungezwungen und natürlich wie ein Eselspfad durch den Ort, und hinter jeder Kurve eröffnet sich ein neues malerisches Bild. Jeder Spaziergang steckt voller Überraschungen. Man hat das Gefühl, den Spuren eines Tieres zu folgen.

Die meisten der romantischen Gebäude sind geschmackvoll renoviert, die Stufen der Gassen überwuchert von leuchtenden Bougainvillea, Rosen und Oleander. Ein Sinnestaumel aus verwunschenen Fassaden und Fensteranstrichen, Schilfveranden, Palmengärten und exotischen Terrassen. Es gibt auch ein paar Festungsreste und eine kleine byzantinische Kuppelkirche sowie urige Tavernen, Tante-Emma-Läden und hübsche Boutiquen.

Urgefühl des Menschen

Kleinstadt im Elsass

Kleinstadt im Elsass

Alte Orte, in denen das Eselspfad-Prinzip noch lebt, üben auf unser Unterbewußtsein eine fast unerklärliche Magie aus. Sie entspringt einer ganz natürlichen Bau- und Wohnphilosophie, nämlich dem Urgefühl des Menschen selbst. Man geht nicht schnurgerade und gezielt irgendwohin, sondern schlendert bzw. trottet wie ein Tier – was auch viel angenehmer ist.

Katze und Spaziergänger in Pflastergasse

Bergdorf im Süden

Wer durch Schweden reist, wird bald einen krassen baulichen Unterschied zwischen Stadt und Land bemerken. Die Städte machen meist einen ziemlich windigen und kalten Eindruck, die Holzhaus-Dörfer dagegen wirken gemütlich und sonnig. Aufgrund seiner Neutralität im Zweiten Weltkrieg blieb Schweden von Bombardements verschont. Aber in den 60er Jahren beging man schwere städtebauliche Fehler. Man riss die farbenfrohen, alten Holzhäuser massenweise ab und baute zeitgenössische Betonbauten.

Diese Bauweise war eine Modeerscheinung, der man zum Beispiel in Norwegen nicht verfallen war. Viele Städte Norwegens haben daher im Gegensatz zu den schwedischen ihr eigenes Flair bewahrt. Selbst in deutschen Städten, wie zum Beispiel in Limburg an der Lahn, lässt sich dieses Empfinden hautnah erleben. Kaum hat man das Domviertel mit seinen malerischen Fachwerkbauten verlassen, gelangt man in eine neue, geradlinige Stadt, die regelrecht zum Umkehren animiert.

Natürliche Intuition

Insel Elba Bergdorf Marciana

Bergdorf Marciana – Insel Elba

Viele Konstruktionen der Menschen sind der Natur abgeschaut. So zum Beispiel die Dacheindeckung, für die das Schuppenkleid eines Fichtenzapfens als Vorbild gedient haben mag. Das weiße Fellhaar des Eisbären, das auf dessen schwarzer Haut wächst, ist vergleichbar mit der Wirkungsweise eines Sonnenkollektors.

Alte Berg- und Fischerdörfer sind harmonische, ja geniale Architekturgebilde voll natürlicher Intuition. Aber leider nimmt sich heute kaum ein Architekt ein Dorf in der Toscana oder Provence zum Vorbild.

Stattdessen richten wir als Wiedergutmachung Blumeninseln auf unseren geraden Straßen ein, um den Blick zu durchbrechen, oder wir lassen dort Autos in unlogischen Schlängellinien fahren, um die Geschwindigkeiten zu drosseln.

 

Fortsetzung: Im nächsten Beitrag der Wohn- und Bauphilosophie-Folge erfahren Sie, warum man den Frauen und den Künstlern das Zepter am Bau geben sollte.

 

Ein Holzhaus in Eigenregie bauen:

  • „Ein Haus aus Holz“ – Blottner Verlag Taunusstein – www.blottner.de/buecher/hausbau/ein-haus-aus-holz/

Wohnen und Entspannen mit Bildern?

 

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Als Buchautorin und Journalistin arbeitet Gabriele Walter mit dem Künstler und Grafiker Kurt Ries zusammen. In ihrem Reise- und Relaxblog helfen sie den Lesern, im Sinne der Selbstfürsorge und Prävention Stressverhalten zu korrigieren und sich Energie, Lebensfreude und mentale Kraft zuzuführen. Dabei fördern sie auch Kunst und Muse.