Messestadt Leipzig: Von Martin Luther, Napoleon + der friedlichen Revolution (8)

Im Abendlicht bildet der Turm des Neuen Rathauses in Leipzig eine Kulisse, die an alte Zeiten erinnert. Martin Luther kämpfte hier gegen Ablass und Fegefeuer. Der ca. einstündige Spaziergang führt dann zum Marktplatz, wo sich Napoleon nach der Völkerschlacht von den Sachsen verabschiedete. Nur wenige Minuten entfernt kann man den Gegensatz zwischen dem wuchtigen Äußeren und dem pastellfarbenen Inneren jenes Gotteshauses betrachten, von dem gleich zwei politische Weltwunder ausgingen. Die Friedensgebete in der Nikolaikirche waren nicht nur der Auslöser der friedlichen Revolution, sondern auch für den Fall der Mauer.

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Der Leipziger Disput

Neues Rathaus Leipzig, Turm der alten Pleißenburg, Uniriese

Neues Rathaus in Leipzig mit dem Turm der alten Pleißenburg

Das Neue Rathaus in Leipzig ist ein baulicher Zeuge der ehemaligen Feste Pleißenburg, zu der Hieronymus Lotter das einstige Wasserschloß umbaute. In einem Flügel der Burg befand sich die Mal- und Zeichenakademie von Adam Friedrich Oeser, wo auch Goethe aus und ein ging.

In der Hofstube des alten Schlosses fand 1519 der Leipziger Disput zwischen Martin Luther und dem Theologieprofessor der Universität Ingolstadt Dr. Johann Mayr von Eck statt. Ablaßprediger Tetzel gehörte dem Leipziger Dominikanerorden an, und auch der scholastische Geist der Leipziger Universitätstheologen war geradezu sprichwörtlich.

In der Grimmaischen Straße brach bei der Anreise der Reformatoren aus Wittenberg am Wagen von Karlstadt ein Rad und der Doktor fiel wohl vom Wagen. Luther und Melanchthon fuhren vorüber, und die Leute sprachen, Luther und Melanchthon würden „obliegen“, Karlstadt aber „unterliegen“.

Die Auseinandersetzung über Ablass, Fegefeuer, Buße und päpstliche Gewalt – in lateinische Sprache ausgetragen – wirkte auf die Zuhörer ermüdend und wurde mit der Zeit so langweilig, dass der Saal sich immer mehr leerte. Siebzehn Jahre später predigte Luther in deutscher Sprache in der Thomaskirche. Selbst von außen wurden Leitern an die Kirchenfenster gelehnt, um Luther zu hören.

Leipzig war für den Fortgang und die Stabilisierung der Reformation von besonderer Bedeutung, denn von der Buchstadt wurden Luthers Schriften in hohen Auflagen verbreitet. Luthers Übersetzung des Neuen Testaments war zunächst verboten, aber dennoch auf der Leipziger Messe stets ausverkauft.

Historismus am Neuen Rathaus in Leipzig

Seine vielen Giebel lassen es aus der Ferne betrachtet wie eine Puppenstubenstadt erscheinen. Wenn man nah herangeht, kann man sich in dem raffinierten Stilgemisch aus Renaissance, Barock und Jugendstil regelrecht verlieren. Das Neue Rathaus Leipzigs ist schon seit rund hundert Jahren nicht mehr neu! Es wurde 1899-1905 nach Entwürfen des Stadtbaudirektors Hugo Licht im Stile des kunterbunten Historismus erbaut und durch einen Bogengang mit dem Leipziger Stadthaus (1912) verbunden.

Denkmal für den Leipziger Bürgermeister Carl Goerdeler am Neuen Rathaus

Denkmal für den Leipziger Bürgermeister Carl Goerdeler in den Grünanlagen am Neuen Rathaus

Der reiche Figuren- und Ornamentschmuck wird durch einen Lipsia-Kopf über dem Hauptgiebel bekrönt. Hugo Licht hatte seinen Bauentwurf unter dem Kennwort „Arx nova surgit“ (Eine neue Burg entstehe!) eingereicht. Der Turm der alten Pleißenburg, die hier früher am Stadtgraben stand, wurde dominant in den Neubau einbezogen.

Am Eingang bewachen zwei Löwen, Leipzigs Wappentiere, die insgesamt fast 900 Arbeitsräume. Die Rathausuhr mit der Inschrift „Mors certa, hora incerta“ (Der Tod ist gewiß, die Stunde ungewiß.) hebt sich mit ihren goldenen Ziffern auf blauem Grund farbintensiv von dem weißen Muschelkalkstein ab.

Auf den Spuren Napoleons

Königshaus am Marktplatz in Leipzig

Königshaus am Mark in Leipzig – schräg gegenüber vom Alten Rathaus

„Adieu, mes braves Saxons!“ rief der besiegte Kaiser den Leipzigern im Oktober 1813 vom Erkerfenster des Königshauses  am Markt zu und verschwand ebenso eilig, wie er gekommen war. König Friedrich August I nutzte während der Völkerschlacht das barocke Gästehaus als Stabsquartier.

Nur wenige Jahre zuvor (1807) ließ der als Mitglied des Rheinbunds mit Napoleon verbündete Sachsenkönig zu Ehren des weltverändernden Franzosen am Grimmaischen Steinweg einen Triumphbogen zimmern und ordnete die Festbeleuchtung der öffentichen Gebäude an. Aber der Korse traf samt Majestät der Königin und Prinzessin Augusta viel zu früh ein – ließ die Pferde wechseln und schlummerte (angeblich!) obendrein.

Sein Hauptquartier schlug er in den frühen Morgenstunden in Reudnitz auf. Den „Triumphzug“ überließ er dann einfach seinen sonnenverbrannten und pulvergeschwärzten Kolonnen… , die für die Sachsen immerhin ein vorzügliches Gesetzbuch, soziale Gerechtigkeit und den Beginn einer Volksregierung erfochten. „Förmliche Strohköpfe“ und „dummstolze Pinsel“ seien aus den Ämtern „requiriert“ worden.

Freiheit oder Kaffee

Napoleonstein in Leipzig mit Napoleons Hut, Kissen und Fernrohr

Napoleonstein am Völkerschlachtdenkmal in Leipzig – mit Hut, Kissen und Fernrohr

Am Ende des Jahres 1813, nach seinem Rückzug aus Leipzig, äußerte Napoleon die den Leipzigern unverständlichen Worte: „Zu denken, daß man wegen einer Tasse Kaffee mit ein bißchen Zucker drin die Hand abweist, welche die Welt befreien will!“.

Jedenfalls war er schließlich, als er über den Rhein nach Paris zurückkehrte, ein Kaiser ohne Reich, denn auch seine Verbündeten hatten ihm so erniedrigende Sanktionen wie die Kontinentalsperre gegen den Feind England nicht verziehen. An den Leipziger Stadttoren wurden die Kaufleute von den Franzosen kontrolliert. Damit hatte man der Messe einen schweren Schlag versetzt. Zudem kam der Buchhandel durch überhöhte Steuern zum Erliegen. Göschen musste sich mit dem Druck von Kalendern über Wasser halten.

Oberbefehlshaber Karl Philipp Fürst zu Schwarzenberg, der Sieger von Leipzig und damals reichste Mann Österreichs, starb 1820 schwer krank in jenem Königshaus am Markt, als er sich an die Tage der Schlacht erinnern wollte. Die herbeigerufenen Ärzte, unter ihnen der Begründer der Homöopathie Samuel Hahnemann (1755-1843), konnten ihn von seinen schweren Depressionen nicht mehr heilen.

Die klassizistische Nikolaikirche und die Revolution

Säule der Nikolaikirche am Nikolaikirchhof in Leipzig mit dem Kirchturm im Hintergrund

Säule aus dem Inneren der Nikolaikirche am Nikolaikirchhof in Leipzig

Der DDR-Staat war auf alles gefasst, nur nicht auf Kerzen und Gebete. Ein Gotteshaus – der Kopf der friedlichen Revolution! Seine unsagbare Popularität zeigt sich am Samstag um 17 Uhr, wenn auf einer der größten Orgeln Sachsens, die im Jahre 1859 mit 6314 Pfeiffen eingebaut wurde, auserwählte Orgelmusik erklingt.

Das im Jahre 1165 zur Zeit der Stadtrechtsverleihung an der Kreuzung zweier bedeutender Handelsstraßen gegründete und dem Schutzpatron der Kaufleute, Nikolaus, geweihte Gotteshaus empfängt seine Besucher an der Hauptpforte wuchtig-schlicht mit dem größten romanischen Mauerwerk der Stadt.

In ihrem Inneren enthüllt sich Ihnen hingegen eine morgenländische Pflanzenwelt. An dem stuckierten Rosettengewölbe schwelgen Palmenwedel aus kannelierten Säulen, wiegen sich blütenreich wie über seligen Gefilden. Die prächtigen Emporen liegen auf schweren korinthischen Pfeilern. Deren Unbeugsamkeit ist umfangen von Schwerelosigkeit in sanfter Farbgebung: eine vollendete Harmonie in Pastell.

Sieg von Kunst, Freiheit und Frieden

Eingangstür mit Aushang für die Friedensgebete in der Nikolaikirche in Leipzig

Nikolaikirche Leipzig: Eingangstür

Die klassizistische Innengestaltung der Kirche zur Zeit der Aufklärung wurde maßgeblich von Adam Friedrich Oeser, Zeichenlehrer von Goethe, beeinflußt. Seine Gemälde schmücken den Altarraum. Der Friedensengel über Oesers Altarbild gilt als Schutzpatron für die in der jüngsten Geschichte der Kirche so bedeutsamen Montagssfriedensgebete.

Nachdem auch der Aufruf des Gewandhauskapellmeisters Professor Masur zur Gewaltlosigkeit verlesen war, siegten schließlich Kunst, Musik und Frieden. Durch den Aufruf einflussreicher Persönlichkeiten aus Kultur und Politik über den Stadtfunk wird die Anwendung von Gewalt verhindert. Am 9./10. November öffnet sich nach 28 Jahren und 91 Tagen die Mauer.

Säule aus der Nikolaikriche am Nikolaikirchhof in Leipzig

Symbol für Freiheit: Säule aus der Nikolaikriche

Erich Loest, einer der tapfersten Leipziger, schrieb die Romane: „Völkerschlachtdenkmal“ und „Nikolaikirche“. Auch mit dem Leipzig-Roman „Es geht seinen Gang“ übte er in der DDR-Zeit mutig Kritik. Ebenso zählt u.a. Christoph Hein zu den herausragenden Systemkritikern. Das Ringcafé am Roßplatz („Der Tangospieler“) sowie viele Leipziger Erlebnisse finden sich in seinen Romanen wieder. Das gedruckte Wort spielt in Leipzig traditionell eine große Rolle.

Vorschau: Der nächste  Beitrag der Leipzig-Folge lädt zu erholsamen Spaziergängen im Grünen ein. Auf dem Promenadenring von Leipzigs City kann man sowohl entspannen als auch schöne Denkmäler besichtigen.

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Leipzig-Folge-Beiträge: Musenküsse aus Klein-Paris

 

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Als Buchautorin und Journalistin arbeitet Gabriele Walter mit dem Künstler und Grafiker Kurt Ries zusammen. In ihrem Reise- und Relaxblog helfen sie den Lesern, im Sinne der Selbstfürsorge und Prävention Stressverhalten zu korrigieren und sich Energie, Lebensfreude und mentale Kraft zuzuführen. Dabei fördern sie auch Kunst und Muse.