Messestadt-Leipzig: Durchgangshöfe und Passagen im Jugendstil (10)

Von ursprünglich 35 Messehäusern prägen noch über 20 das Stadtbild Leipzigs. Das Modell der Mustermesse wurde weltweit nachgeahmt. Für das eingetragene Logo – das Doppel-M – besitzen aber die Pleiß-Athener das Urheberrecht! Später entstanden auch in den Randorten von Paris, Mailand, Brüssel, Frankfurt am Main und Köln riesige Messehallen. Üppig mit erlesenem Jugendstildekor geschmückt, präsentieren sich die ehemaligen Messetempel Leipzigs heute als Kauf- oder Bürohäuser. Ihre Fassaden erzählen von den alten Zeiten des Handels, während sich die neue, ultramoderne Messe an der Peripherie der Stadt eingenistet hat.

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Gasthaus Barthels Hof

Barthels Hof mit alten Kranbalken und Restaurant in der Messestadt Leipzig

An die mittelalterlichen Durchgangshöfe erinnert noch der Barthels Hof im Stadtkern Leipzigs

Der historische Messedurchgangshof mit seinen Kranbalken am Drallewatsch ist ein Muß für jeden Leipzig-Besucher. In dem ältesten, erhaltene Kaufmannshof der Stadt läßt es sich gut in das Mittelalter zurückdenken. Die Kranbalken oben an den Dachgiebeln zeugen davon, daß das Handelsgut über Flaschenzüge auf die Lagerböden gezogen wurde.

Erhalten blieb auch der Charakter des Hauses als typischer Leipziger Durchgangshof. Über das Kopfsteinplaster rumpelten die Pferdegespanne hinein, luden die Waren, um am gegenüberliegenden Tor wieder hinauszufahren. In den wölbigen Verkaufshallen bot man sie dann feil.

Knechte, Mägde und Reisende hatten dort ihre Schlafstätten. Aus den Ställen roch es nach Pferdemist. In der Gründerzeit hatten diese Höfe schließlich ausgedient. Heute drängen sich hier Wirtshausräume, Theater, kleine Läden und vor allem Touristen.

Durchgangshöfe und noble Passagen

Passagennetz in Leipzig: Rottundenglasdach in der Mädlerpassage in

Rottundenglasdach in der Mädlerpassage in Leipzig

Schräg gegenüber am Markt entstand als Fortentwicklung zu den Durchgangshöfen der reichen Leipziger Kaufmannsgeschlechter ein ausladendes Passagennetz mit langen Ladenstraßen. Dort verliert man auch bei schlechtem Wetter nicht die Lust am Flanieren! Anstelle von Hohmanns Hof überdeckt heute der Messehof das Terrain.

Eine 110 m lange Ladenpassage voll Überfluß und Luxus führt zur Petersstraße – einstige Messemagistrale schlechthin. Unterwegs entführen Sie die vornehmen Boutiquen, Patisserien und Cafebars ganz wie von selbst auch in die Mädler- und die Königspassage. 1912-14 ließ der Kofferfabrikant Anton Mädler den alten Auerbachs Hof abreißen und errichtete anstelle des Renaissancebaus, der in Goethes Faust verewigt ist, das fünfstöckige Sandsteinmessehaus Mädlerpassage.

Der alte Weinkeller, in dem der Sage nach Dr. Faustus anno 1525 auf einem Weinfaß geritten sein soll, blieb immerhin erhalten. Nach dem Vorbild der Mailänder Galleria Vittorio Emanuele ist die schmucke Mädlerpassage mit einem gläsernen Oberlicht ausgestattet. In ihrer klangvollen Rotunde erklingt zu jeder vollen Stunde ein Glockenspiel aus Meißner Porzellan.

Damit wird noch heute auf den Handel mit Sachsens „Weißem Gold“ hingewiesen. Sein Erfinder, Johann Friedrich Böttger, stellte es 1710 erstmals in dem später abgerissenen Gasthof „Blauer Engel“ in der Petersstraße aus. In den Jahren 1927-29 wurde dort das sieben Etagen zählende Messehaus Petershof hingebaut, wo sich heute auch der Petersbogen befindet.  In der Petersstraßé konzentrieren sich noch andere ehemalige Messhäuser: Mustermessebau Concentra, Messehaus Drei Könige, Stentzlers Hof.

Vom Marktplatz durch die Hainstraße

Hainstraße - Durchgangshof in Leipzig

Passage in der Hainstraße in Leipzig

Die Leipziger City entspricht in etwa der Größe jenes mittelalterlichen Marktfleckens, an dem sich jede Branche traditionell an einer bestimmten Stelle niederließ. Überall lockten Buden mit bunten Attraktionen von nah und fern. Kutschen und Fuhrwerke transportierten die Waren, Träger schleppten Ballen, räderlose „Schleifen“ Fässer und Kisten.

Im Erdgeschoß der Alten Waage am Markt befand sich einst das Waageamt. Alle möglichen Güter – Gewürze aus dem Orient, flandrische Tuche und Kolonialwaren – wurden hier zur Zeit der Warenmesse gewogen und verzollt. Bei Sonnenschein sollten Sie einen Blick auf die Sonnenuhr in dem geschwungenen Giebel der Alten Waage werfen.

Unseren ausgiebigen Messerundgang setzen wir durch die schöne Hainstraße fort. Nicht allein der prächtige, dreistöckige Renaissance-Erker dort zeugt vom Reichtum der Leipziger Kaufmannschaft. Hinter den Bürgerhausfassaden in der regen Geschäftstraße verbergen sich weitere Durchhäuser mit Passagen, die an die Zeit der Warenmesse erinnern.

Rauchwaren… und Elefanten?

Eingang zu einem Jugenstilhaus in der Nikolaistraße - Leipzig

Jugenstilhaus in der Nikolaistraße – Leipzig

Auch die Nikolaistraße vermittelt einen Eindruck vom alten Glanz. Das wunderschöne Giebelfeld an Steibs Hof (1907) erregt Staunen und Entzücken. Es zeigt die historischen Häuser, die einst dem Neubau weichen mußten. An der gegenüberliegenden Straßenfront verkörpern allerlei Tierfiguren das Metier der Pelzveredlung.

Viele Pelzfirmen wanderten nach dem Krieg nach Frankfurt am Main ab. In DDR-Zeiten wurden die Pelze fast ausschließlich für Devisen produziert. Den Umbruch der Wende haben nur ganz wenige Leipziger Kürschner überstanden, denn für die westdeutschen Abnehmer waren die Pelze dann zu teuer geworden. Letzteres betraf sicher nicht allein den Pelzhandel… (dürfte jedoch für viele Tiere ein Segen gewesen sein.)

Auch das alte Handelshaus Strohsack unterlag in den letzten Jahren einer umfassenden Sanierung. In seinen eleganten Passagen mit den brillianten Säulen und hohen Gewölben wurde die Innenarchitektur der Nikolaikirche nachempfunden. Das Wort Messe stammt von der kirchlichen „Missa“ ab, denn die Kaufleute bauten ihre Stände allzugern vor den vielbesuchten Gotteshäusern auf.

Business mit Charme und Muse

Riquethaus in Leipzig - mit dem Turm der Nikolaikirche im Hintergrund

Riquethaus in Leipzig – Nähe Nikolaikirche

Gegenüber der Kirche verbreitet der wohl schönste Messepalast der Stadt, Specks Hof, mit einem filigranen Stilgemisch weltstädtischen Charme. Durch einen Durchgang, wo die erlesenen Auslagen das Auge verwöhnen und der Duft von Kaffee in die Nase steigt, ist er mit dem ebenfalls recht schmucken Hansahaus verbunden.

Und was machen die beiden asiatischen Elefanten in der Leipziger Innenstadt? Das Riquethaus im Schuhmachergäßchen um die Ecke besticht mit einem märchenhaft bunten Pagodendach. Es wurde nach der mit japanischen und chinesischen Waren handelnden Firma Riquet & Co benannt. Ihr imposantes Markenzeichen triumphiert nun über der Eingangstür und versinnbildlicht gleichzeitig Leipzigs herausragendes Jugendstilambiente.

Vorschau: Als Zulage der Leipzig-Folge steht ein lustiger Beitrag über die Leipziger Küche im sächsischen Dialekt auf dem Programm! Falls Sie darüber informiert werden und gerne schmunzeln möchten, können Sie unsere Blog-Beiträge abonnieren!

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Leipzig-Folge-Beiträge: Musenküsse aus Klein-Paris

 

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Als Buchautorin und Journalistin arbeitet Gabriele Walter mit dem Künstler und Grafiker Kurt Ries zusammen. In ihrem Reise- und Relaxblog helfen sie den Lesern, im Sinne der Selbstfürsorge und Prävention Stressverhalten zu korrigieren und sich Energie, Lebensfreude und mentale Kraft zuzuführen. Dabei fördern sie auch Kunst und Muse.