In der Kunstkritik spricht man von Turners „verflüchtigten Landschaften“, welche einen Schleier gehoben hatten, den die Natur verbarg. Sie gingen aus seinen Reiseskizzen und Aufzeichnungen im Tagebuchcharakter hervor, die nicht selten auch im Vorbeifahren entstanden. Damals sah man die Welt zeichnend, heute sieht man sie fotografierend. 20.000 Blätter vermachte William Turner dem englischen Staat, der in damaliger Zeit eine gute Beziehung zu Deutschland pflegte.
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William Turners Vorliebe für Licht und Farbe
Turner befasste sich auch mit Dürers Studien zur Perspektive und mit Goethes Farbenlehre. In einer Notiz zu seinen Vorlesungen an der Royal Akademie in London äußerte sich der Künstler über das wechselhafte Wetter am Rhein. Von einem unbeständigen Klima ist die Rede, „wo ein Tag genügt, um alle Jahreszeiten zu erleben.“ und die „dunstige Ausgelassenheit das Antlitz der Dinge umhüllt.“
Als Landschaftsmaler, welchem die Natur unerwartete Erlebnisse bietet, kam ihm die unruhige Wetterlage entgegen. Angeregt von einem tiefen atmosphärischen Eintauchen in die Natur, entstanden seine Rheinbilder nicht vor Ort, vielmehr wurden sie nach seiner Rückkehr frei entwickelt.
Sie verraten Turners Vorliebe für die Lichteffekte der tiefstehenden oder gerade untergegangenen Sonne eines Sommertages. Letzteres verleiht seinen Kunstwerken ihre eigentümliche Stimmung.
Poetisierung der Natur
Turner wanderte wie ein Haiku-Dichter. Das hautnahe Erleben von Tageszeiten und Wetterstimmungen spiegelte sich in seinen Werken wieder. Seine gründlichen Naturbeobachtungen führten dazu, dass er die Natur als etwas ungemein Dynamisches erlebte und sie als ein beglückendes Paradies erfuhr.
Die Dynamik der Natur ist ein Grundakkord in seinem gesamten Rheinwerk, wobei er die Natur poetisiert. Farbe und Licht werden als alleinige Ausdrucksmittel eingesetzt. Letzteres stieß nicht unbedingt auf Gegenliebe beim breiten englischen Publikum, das Wert auf topografische Genauigkeit legte.
Neben Turners Illustrationen wurde auch Lord Byrons Drachenfels-Ballade „Der turmgekrönte Drachenfels“ in vielen Reiseführern abgedruckt. Mit Byrons Dichtung im Gepäck hatte Turner dessen Reise ein Jahr später nachvollzogen. Und Heinrich Heine war einer seiner Übersetzer. Die Wechselwirkung zwischen Dichtung und Kunst spiegelte sich dann auch in Turners Vignetten wider, welche er für die Taschenbuchausgabe des Byronschen Werks geschaffen hatte.
Eine skandalöse Liebe
Siebenundzwanzig Jahre lang hatte die Rheinromantik Turner beschäftigt, von Lord Byron inspiriert, der sich beim Anblick des Drachfelses zu einer Ballade voller Poesie und Sehnsucht inspirieren ließ. Lord Byrons Rheinreise im Jahre 1816 ging ein zündender Skandal in England voraus, nämlich die Liebe zu seiner Halbschwester Augusta.
Was in der heutigen Zeit yellow-pressreif wäre, musste damals ins Exil führen. Lord Byron verließ England für immer und reiste zunächst über Waterloo an den Rhein. Die vielleicht großartigste Leistung des schönen Lords als Dichter war, seinen Liebeskummer mit der Poesie der rheinländischen Landschaft zu verweben.
Im 3. Canto von „Child Harold’s Pilgrimage“ kann man es nachlesen: Sein berühmtes Gedicht „Der turmgekrönte Drachenfels“ enthält die geradezu herzensrührenden Zeilen „Nur eines fehlt dem schönen Rhein, dein Händedruck, ich bin allein.“ Obwohl er nicht ihren Namen nannte, wussten es alle Engländer, dass es sich um eine Liebeserklärung an Augusta handelte. Den Rheinländern hatte der Lord damit einen großen Gefallen getan, indem er die englische Reisewelle an den Rhein auslöste.
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